Stipendiensache: Krähe und …

Stipendiensache: Krähe und …

Deckblatt der Akte

Acta

Einige von dem Superintendenten Dr. Valentin Ernst Löschern wider mich, den Amtschösser Johann Ehrenfried Praetorium unt[stehende] geführte Beschwerden betref

Gravamina

1) unternommene Bauung des Altars in der Kirche zur [ unleserlich]

2) eigenmächtige Betretung des Chors in der Mönchenkirche

3) wegen des Koppehel’ischen Stipendii

Amt Jüterbog 1701

Deckblatt der Akte

                                                                                            

Quelle und Signatur

Brandenburgischen Landeshauptarchiv,
Signatur: Rep 7 Jüterbog,  Nr. 1772

Anmerkung

Die Schriftstücke wurden mir dankenswerterweise von Klaus Koppehl (Kuratoriumsmitglied) zur Verfügung gestellt.
Übertragungen aus dem Kurent von Helmut Kowar.
Da sich unter den drei vorgefundenen Schriftstücken nur ein sorgfältig geschriebener Brief und zwei schwer leserliche Entwürfe befinden, gebe ich nur eine Zusammenfassung des Schriftverkehrs wieder. Der Brief stammt von Johann Georg Herzog von Sachsen, Jülich, Cleve, Berg, Angern, und Westphalen; die Briefentwürfe wurden von Superintendent Löscher und Amtsschössen Praetorius verfasst. Diese Entwürfe wurden, so vermute ich, im ersten Unmut niedergeschrieben und waren gedanklich noch nicht sorgfältig ausformuliert. Der Zeitraum des Briefwechsels ist relativ kurz. Er beginnt indirekt am 3. Februar 1701 und endet am 12. März 1701. Bedauerlicherweise ist auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, der Ausgang der Geschichte nicht bekannt. Aber zumindest für Superintendent Löscher dürfte die leidige Angelegenheit bald erledigt gewesen sein, denn bereits im November 1701 folgte dieser dem Ruf des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg als Superintendent nach Delitzsch.

Was beim Aktenstöbern so alles auftaucht

Eigentlich war ich auf der Suche nach biographischen Informationen zu J. E. Praetorius, der lange Jahre in Jüterbog als Amtsperson für die Jüterboger Bürger und damit auch für viele Familienmitglieder der Koppehel’schen Familienstiftung zuständig war. Lebensdaten fand ich leider nicht, stattdessen aber einen kurzen schriftlichen Disput zwischen Amtsschösser Praetorius und Superintendent Dr. Löscher. Auslöser dazu war auch hier die mangelnde Zahlungsmoral von Martin Krähe, der seit Jahren einen koppehel’schen Acker bewirtschaftete, sich jedoch weigerte die Pacht zu entrichten. Es ging um 7 Reichsthaler, die von der Koppehel’schen Stiftung einigen jüterboger Studenten oder Schülern zugesagt worden waren. Der Einfachheit halber sollten diese 7 Reichsthaler direkt vor Ort an die Stipendiaten weiter gegeben werden. (siehe auch: Die Akte Schultze gegen Krähe)
Einer dieser Studenten war Martin Koppehele, der 1695 an der Universität Wittenberg immatrikulierte um Theologie zu studieren. Aus seinem Brief vom 29. Oktober 1701 entnimmt man, dass er zumindest die 7 Reichthaler für das letzte Studienjahr von Krähe nicht bekommen hatte. Auch sein Vater, Martin Koppehele, konnte Krähe nicht zur Zahlung veranlassen und so schrieb Martin Koppehele, Sohn direkt an den Herzog. Und auch Superintendent Löscher schien von der Sachlage Kenntnis gehabt zu haben, denn auch er erwähnte in seinem Briefentwurf den Namen Martin Koppeheles. (zu Martin Koppehele siehe auch: Wilhelm Koppehele – Familienforschung als Film aufbereitet).

Blick auf die Nikolaikirche, Jüterbog

Superintendent Löscher wurde am 29. Dezember 1673 geboren und studierte in Wittenberg Philosophie, Geschichte und Theologie.
Am 13. März 1690 immatrikulierte er an der Universität Wittenberg.
1698 schlug ihn Johann Georg, Herzog von Sachsen als Superintendent für Jüterbog vor.

Am 30. November 1698 hielt er in Jüterbog seine erste Predigt und wurde am 16. Dezember 1698 in Weißenfels ordiniert. Am 29. Dezember 1698 trat er seine erste Pfarrstelle in Jüterbog in der St. Nikolai Kirche an Gleichzeitig wurde er Superintendenten von Jüterbog.

Kurze Zeit später, am 22. April 1700, promovierte er in Wittenberg zum Doktor der Theologie.
Im November 1701 verließ er Jüterbog um eine neue Stelle in Delitzsch anzutreten.

Der Herzog ist nicht gerade amüsiert

Wie schon so oft in den letzten Jahren wurde Johann Georg, Herzog von Sachsen wieder einmal mit einer Stipendiensache „belästigt“. Wie wenig ihn das freute, lässt sich aus seinem Schreiben vom 23. Februar 1701 an Praetorius heraus lesen.

Brief des Herzogs an Prätorius vom 23. Feruar 1701, 1. Seite
Brief vom 23. Februar 1701, 2. Seite

Übertragung aus dem Kurent von Helmut Kowar

Von Gottes Gnaden, Johann Georg, Herzog von Sachsen, Jülich Ceve, Berg, Angern, und Westphalen

 Lieber Getreuer,

 Was an uns wegen des Koppehlischen Stipendii der Superintendents zu Jüterbog Dr. Valentin Ernst Löscher unterm 3. Huius [laufenden Monats] unterthänigst berichtet und beschieden zu werden erbeten, solches ersiehest Tu aus den Originalanschlusse mit mehreren;

Darauf ist unser gnädigster Befehl, du wollest mit Remission des selben wie es damit allenthalben Bestandt förderlichst gehorsamst berichten.Daran geschieht unsere Weisung.

Auf unserm Residenzschlosse Neuaugustusburg zu Weißenfels, den 23. Februar 1701

Unterschrift: Gentz [nicht genau lesbar]
Johann Moritz Heidenreich [nicht genau lesbar]

Vorgeschichte

Das Domkapitel in Magdeburg hatte sich an Superintendent Löscher gewandt, um dem Schüler Jakob Schulze möglichst rasch und unkompliziert zu seinem ihm zugesprochenen Stipendium zu verhelfen.

Superintendent Löscher, der die Sturheit Krähes noch nicht kannte, versuchte zu vermitteln. Mit Güte, aber ohne Erfolg, versuchte er Martin Krähe zur Zahlung des Geldes zu bewegen. Wer Die Akte Schultze gegen Krähe kennt, wird sofort erahnen, dass solche Versuche zum Scheitern verurteilt waren. 

Auch Superintendent Löscher blieb diese Erfahrung nicht erspart und so bat er den Amtsschössen Praetorius um Hilfe, da solche Amtshandlungen ja eigentlich in die Zuständigkeit eines Amtmanns fielen.
Beide Männer waren vom Herzog von Sachsen in ihre Ämter bestellt worden und waren sich ihres Amtes sehr bewusst. Jeder hatte seine abgegrenzten Aufgabenbereiche und als sich Löscher in bester Absicht in die Sache einmischte, reagierte Praetorius empfindlich.
Er fühlte sich in seiner Amtswürde beschnitten und verbat sich jede Einflussnahme von Seiten des Superintendenten. Zwar versuchte er in einem persönlichen Gespräch mit Dr. Löscher einen Konsens zu finden, allerdings schien das Gespräch von Anfang an keinen guten Verlauf genommen zu haben.
Zu allem Unglück erwähnte Löscher auch noch zwei andere Missstände, die mit der Stipendiensache gar nichts zu tun hatten, Prätorius aber nur noch mehr verärgerten. Eine sachliche Regelung konnte nicht erreicht werden.

Löscher war sich durchaus bewußt, dass Rechtsangelegenheiten in die Amtsbefugnisse des Amtsschössen fielen, jedoch hatte er auch die berechtigte Befürchtung, dass das Geld den Schüler Jakob Schulze nie erreichen würde, wenn sich nicht jemand für ihn einsetzte. Aus etlichen Schriftstücken, die ichbereits durchgearbeitet habe, geht hervor wie umständlich und langwierig die Stipendien-Vergabe war. Dass sich das Domkapitel bei Schwierigkeiten an den Ortspfarrer um Hilfe wandte um eine raschere Klärung zu erlangen, ist verständlich.

Ein weiterer Versuch Löschers, durch „priesterlich gutes Zureden“ Krähe zu veranlassen  „seine Seele von der Ungerechtigkeit [zu] retten und sowohl der testamentarischen Verordnung zu folgen, als dem armen Kinde [Jakob Schulze] dem solches [Stipendium] angewiesen ist“, zu dessen Wohl zu verfahren, hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Letztendlich war Löscher frustriert und konnte nicht anders, als „solches [den Hergang] Euer hochfürstlicher Durchlaucht zu heilsamstem Remeditum unterthänigst [zu] denunzieren.“

Gezeichnet „Mit Treu und unterthänigster Bitte wie ich mich diesfalls zu Erhaltung des mir anvertrauten Amts verhalten solle, in Gnade mich zu befehligen davor ich, wie jederzeit verharre

Euer hochfürstl. D[urch]l[auchtigster] unterthänigster, treuester, Vorbitter
Dr. Valentin Ernst Löscher
den 3. Februar 1701

Superintendent Löscher machte also seinem Ärger Luft und beschwerte sich beim Herzog von Sachsen. Er untermauerte seine Beschwerde mit zahlreichen Beilagen (die in dieser Akte leider nicht abgelegt sind). Detailreich schilderte Löscher die Begebenheit und kritisierte dabei auch, dass Prätorius schon in den letzten Jahren nicht im Stande gewesenwar Martin Krähe, „der den Acker eine Zeit lang unterm Pfluge gehabt“, zur Zahlung der Pacht zu veranlassen. Bereits einige Jahre davor musste sich Martin Koppehele, Vater, dem die Bewirtschaftung des Ackers oder aliquot 7 Rth aus dem Ertrag, zugesagt worden waren, um sein Recht  streiten. Prätorius konnte Krähe schon damals nicht zur Zahlung veranlassen. Martin Koppehele, Sohn und Student der Theologie, wandte sich 1701 ebenfalls an den Herzog und bat um Intervention. Auch davon wusste Löscher und erwähnte es in seinem Brief an den Herzog. Und dieser erließ eine seiner knappen Weisungen.
Nun lag es aber nicht in Praetorius Charakter so einem herzöglichen Befehl kommentarlos Folge zu leisten. Seine Antwort fiel, wie üblich, äußerst wortreich und sarkastisch aus. So meinte er, dass die Vorwürfe, er hätte sich in kirchenbauliche Belange eingemischt, völlig aus der Luft gegriffen seien.
In lebhaften Farben schilderte Praetorius auch das persönliche Vorsprechen bei Löscher, das äußerst unerquicklich gewesen sein muss. Löscher hätte mehrmals betont: „ Ich [Prätorius] sollte wissen, er [Löscher] habe einen hitzigen Kopf! Welche Worte er mit sonderlicher Emphasi mehr als einmal wiederholte.“ 
Prätorius schien diesem Gespräch auch zu entnehmen, dass Löscher die Amtsbefugnisse des Amtsschössen zu beschneiden versuche und sich selbst mehr Einfluss verschaffen wolle, was er, Prätorius, selbstverständlich nicht akzeptieren werde.

Auch im weiteren Verlauf des Briefs sparte Praetorius nicht mit Sarkasmus: „sein [Löschers] hitziger Kopf sei auch mit unruhigen Affekten angefüllet. Gott wolle solche ändern und mit Sanftmut und Liebe zur Einigkeit begaben. Übrigens wollte wünschen es hätte der hochlöblicher Superintendetens in seiner KlageSchriften mit welchen euer hochfürstliche Durchlaucht er ohne Not behelliget, sich der Wahrheit bedienet und die Sachen der wahren Umständen nach in unpassioniert vorgestellet. So würden alle wider mich erzwungene Beschwerden selbsten hinwegfallen sein.“
 Weiters bat Prätorius den Herzog in die diversen Beilagen, die der Superintendent dem Herzog geschickt hatte, Einsicht nehmen zu dürfen um darauf zu antworten. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: [um] „Nach Erlangung solcher benötigter Nachrichten, von mir die gnädigst erforderte Berichte, in schuldigstem gehorsam, förderlichst eingesehendet werden sollen, in der Zeit Lebens bin und bleibe ich

euer hochfürstl. Dl.
Prätorius
Amt Jüterbog, den 12. Martiy 1701

Aus diesen wörtlichen Zitaten lässt sich ersehen, wie emotional diese Auseinandersetzung geführt wurde. Auch Amtspersonen waren nicht immer frei von Befindlichkeiten. Solche Akten vermitteln sehr gut die persönlichen Aspekte, die einzelnen Schichsale, die in Geschichtsbüchern verständlicherweise zu kurz kommen. Die Lebensbedingungen der einfachen Bürger waren meisten wesentlich härter als sie es heute sind. Söhne von einfachen Bauern konnten sich ein Studium nicht leisten. (siehe auch: Johann Friedrich Wilhelm Hannemann sucht um ein Stipendium an)

Es gab weder eine Krankenversicherung noch eine Rente, auf die man sich verlassen konnte. Bauern waren von Wind und Wetter und ihrer Arbeitsskraft abhängig. Unter diesen Umständen waren 7 Reichsthaler viel Geld. Und im Falle eines Studenten waren sie nur ein Teilbetrag zum jährlichen Stipendium. Und laut Reglement aus dem Jahre 1756 sollte ein Student in 3 aufeinander folgenden Jahren ein Stipendium von 30 Reichsthalern bekommen. (siehe auch: historische Satzungen und Reglements). Beantragen konnte man so ein Stipendium nur nach einem poitiv abgelegten Studienjahr oder Lehrjahr. Wenn sich der Pächter und der Stipendiat an einem Ort befanden, wie in diesem Fall, sollte der betreffende Betrag der Einfachheit halber vor Ort übergeben werden, ohne den Umweg über die Stiftung in Magdeburg und zurück.

Brief Martin Koppeheles vom 29. Oktober 1701

Einen klaren Eindruck des Handlings erhält man aus dem Brief von Martin Koppehele, der, aus welchen Gründen auch immer, in einer anderen Akte abgelegt wurde. (Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep 7 Jüterbog, Nr. 1777)

BLHA Rep 7 Jüterbog Nr. 1777

Wohledler, Hochachtbar und Rechtswohlgelahrter Herr Amt-Schößer, in sonders Hochgeehrterster Patron und Gönner,

Es wird sich mein hochgeehrtester Patron, verhoffentlich noch wol zu entsinnen wissen, was maßen nicht nur ich selbst, sondern auch mein Vater zum öfftern Martin Kähen, Einwohnern und Ackermannen auffm Damm allhier verklaget haben, daß er mir die 7 Thaler Zins, welche er noch auf die mir zur Complierung meines jährlichen Stipendii von denen Herrn Testamentarien zu Magdeurg assignierten, von ihm aber genützten Koppehelischen Testamentsacker schuldig, auszahlen möchte; Allein weiln bishero ohnerachtet vielfältiger nochmals geschehenen gütl. Erinnerungen keine Zahlung erfolget, sondern meinem Vater statt der Bezahlung viel verdrießliche Worte gegeben hat, ich aber des Geldes gleichwohl itzo sehr benötiget bin; alß ersuche meinen hochgeehrtesten Patron hierdurch ganz gehorsamst derselbe wolle amtshalber ob gemelten Krähen ernstlich auferlegen, daß er mir bedeutete 7 Thaler binnen sächsischer Frist gütling bezahle oder in dessen Ausbleibung auf einen gewissen Tag, der ihm zu benennen meinem Vater aber zu notifizieren, der würklichen Hülf in sein bereitestes Vermögen gewarten solle. Solche obrigkeitliche Hülfe, deren ich mich ganz gewiss getröste, verschulde, mit möglichstem Dank und Dienste.

Datum, Seyda, am 29. Octobre 1701
Meines hochgeehrtesten patroni und Gönners
Schuldigster Diener
Unterschrift M Martin Koppehele

Ackerland um Jüterbog, wie es sich heute präsentiert

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