Eine Einordnung des Amtes des Semmelmeisters

Eine Einordnung des Amtes des Semmelmeisters

Am 30.11.1595 errichtet Hans von Lossow, Landkomtur der Ballei Sachsen vom Deutschen Ritterorden sein Testament, in dem George Copehl, Semmelmeistern der Erzbischöflichen Kirchen zu Magdeburg als einer der Testamentsvollstrecker benannt wird. Der Titel des Semmelmeisters, so lässt sich in verschiedenen Texten nachlesen, konnte jedoch „bisher nicht erklärt“ werden1.

Den Titel des Semmelmeisters finden wir ein weiteres Mal, in gleicher Zeit um den Beginn des 17. Jahrhunderts, im „Lehnbrief des Vikars (am Dom zu Halberstadt, Anm. des Verf.) Semmelmeister Johann Lange für Hauke zu Koxstide über ein Haus und Hof daselbst (17.11.1603)2. Johannes Lange hatte als Domvikar wohl eine vergleichbare Stellung im Halberstädter Domgefüge, wie George Koppehele in Magdeburg. Er wird in vergleichbarer Weise als Vikar zum Testamentsvollstrecker ernannt3. Lorenz beschreibt dies für Koppehele wie folgt: „von Plotho folgte damit dem alten Brauch der Domherren, dass er unter den Testamentsvollstreckern auch einen Vikar hatte.“4

Eine erste Einordnung findet sich 1668 in einem Buch, das wohl im Übergang zwischen römischer und protestantischer Kirche für die Klärung kirchlicher Ämter sorgen sollte und diese ggf. auch mittels der Heiligen Schrift begründete. „Im Rahmen der höchtgekrönten Dreyeinigkeit – Der Gründlichen schriftmässigen Resolution von dem Stande und Ampte der Stiftspersonen“5. Die Schrift der beiden Geistlichen Peter Philips (Domprediger zu Halberstadt) und Ernst Christian Philips (Superintendent in der Grafschaft Hoya) sollte “nicht alleine denen Geistlichen Stiftes- und Standes-Personen klärlich für Augen gestellet (werden)/was nach der h(eiligen) Schrift und der glorwürdigen Obernfundation ihre Amptsverrichtungen sind.“ Hier lässt sich erahnen, dass es wohl in der Auseinandersetzung der Konfessionen, auch nach dem Westfälischen Frieden zu kritischen Momenten der Rechtfertigung von Ämtern und Pfründen kam. Johannes Lorenz weist in seinem Aufsatz darauf hin, dass die alten katholischen Sitten (…) keineswegs sofort abgeschafft wurden mit der Reformation, dass die Dom- und Kollegiatsstifte einerseits viel zu reaktionär und konservativ eingestellt waren und dass sich andererseits mit den Chordiensten natürlich auch Einnahmen verbanden6. So richtet sich die Schrift über die „gründliche und schriftmässige Resolution von dem Stande und Ampte der Stiftspersonen“ an die apostolisch-catholische sowie die augsburgische Confession.
Unter der Überschrift „Stiftspersonen in Individuo“ finden wir in der Schrift bei den einzelnen Ämtern auch den Semmelmeister aufgelistet und mit alt- und neutestamentarischen Textstellen unterlegt:

„Der Semmelmeister an denen Leviten7 / welche alle
Wochen die Schaubrote für den Herrn auflegen /
aufheben / und übergeben müssen.“

Leviticus 24, 5-9
5 Dann sollst du Feinmehl nehmen und daraus
zwölf Ringbrote backen, ein Ringbrot aus zwei
Zehnteln. 6 Und du sollst sie in zwei Schichten
hinlegen, sechs in jeder Schicht, auf den Tisch aus
reinem Gold, vor den Herrn.

7 Und auf jede Schicht sollst du reinen Weihrauch
legen, und das soll der Teil sein, der von dem Brot
genommen wird zum Verbrennen, als Feueropfer
für den Herrn.
8 An jedem Sabbattag soll er es vor dem Herrn
herrichten, immer wieder, als ewige
Bundesverpflichtung der Israeliten.

9 Und es soll Aaron und seinen Söhnen zufallen, und an heiliger Stätte sollen sie es essen. Denn als Hochheiliges kommt es ihm zu von den Feueropfern des Herrn, als ewiges Anrecht.
Samuel 21, 4-6
4 Und nun, was hast du zur Hand? Gib ⟨mir⟩ fünf Brote in meine Hand oder was sich ⟨sonst⟩ vorfindet! 5 Und der Priester antwortete David und sagte: Ich habe kein gewöhnliches Brot zur Hand, sondern nur heiliges Brot ist da. Wenn sich nur die Leute der Frau enthalten haben! 6 David antwortete dem Priester und sagte zu ihm: Ja, denn eine Frau ist uns seit gestern und vorgestern, als ich auszog, versagt ⟨gewesen⟩. Und die Leiber der Leute sind heilig. War das ⟨noch⟩ ein gewöhnliches Unternehmen, wie viel mehr werden sie heute an ihrem Leib heilig sein!
Hebräer: 9,2
2 Denn es war da aufgerichtet das erste Zelt, worin der Leuchter war und der Tisch mit den Schaubroten, und es heißt das Heilige;

Hier zeichnet sich anhand der Schriftstellen schnell ab, dass im Fokus des Amtes wohl heiliges Brot, im Sinne der Kirche wahrscheinlicher Weise das Abendmahlsbrot steht.
Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm finden wir einen weiteren Hinweis mit Bezug auf zwei Quellen zur „Semmel“8:
„Bildlich, wohl mit Bezug auf das Brot des Abendmahls, die Hostie:
dû (Maria) maht wol sin der vrône tisch,
dar ûf diu lebende simele
gesendet wart von himele
der sêle zeinem eʒʒen.
Du (Maria) magst wohl des Herren Tisch sein,
auf den die lebende Semmel
vom Himmel gesendet wurde
der Seele als Speise
(frei übetragen, d. Verfasser)

(Konrad von Würzburg, goldn. Schmiede 551);


wan daʒ sie ûf sâhin
mît den ougen ûf zehimil
daʒ sie diu lebendigiu simil
minneclîchen spîste.“
Als sie aufsahen
mit den Augen zum Himmel
speiste sie die lebendige Semmel minniglich.
(frei übertragen, d. Verfasser)

(Hugo von Langenstein, Martina 84, 106).

Das Wort Semmel lässt sich auf das lateinische „simila“ für „feinstes Weizenmehl“ zurückführen und ist u.a. ein Synonym für Hostie.8


Wenn sich aus diesen Stellen auch nicht im Detail ableiten lässt, was die genaue Funktion des Semmelmeisters war, können wir doch davon ausgehen, dass es vermutlich um den Verantwortungsbereich der Beschaffung, Verwendung und Aufbewahrung von Abendmahlsbroten geht. Das würde sich zur Aufgabe als Vikar des Thesaurarius9 und des Kustos10 fügen, bei der er die Kirchengeräte, Decken und Gewänder verwahrte und die Glöckner und Kirchendiener beaufsichtigte, die die Kirche für den Gottesdienst herzurichten hatten.11 Dem Zitat aus Leviticus folgend, dass eine Backanleitung samt der zu verwendenden Ingredienzien abbildet, beinhaltete das Amt wohl auch die Überwachung der Reinheit der Abendmahlsbrote in der Herstellung.

Das Auftreten des Begriffs Semmelmeister ist ggw. auf die beiden Amtsinhaber Johannes Lange und George Koppehele beschränkt. Und auch die einordnende Textquelle zur von 1668 lässt sich im Halberstädter Umfeld verorten, wo Peter Philipps, einer der beiden Autoren, rund 60 Jahre nach der o.g. Verwendung, als Domprediger wirkt. Ggf. lässt sich daraus ableiten, dass der Begriff nur regional begrenzt verwendet wurde. Ob an anderer Stelle für ein vergleichbares Amt ein anderer Titel verwendet wurde, ist noch zu klären.

Quellenangaben

  1. Erläuterungen zu Georg Koppehele von Johannes Lorenz 1938.pdf
  2. archivportal-d.de: Johann Lange, Semmelmeister des Vikars, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, U 5, XVIIb Nr. 80
  3. inschriften.net: Halberstadt Dom, Vierung
  4. Erläuterungen zu Georg Koppehele von Johannes Lorenz 1938.pdf, S9
  5. Philips, Peter, and Ernst Christian Philips. Cleri Apostolico-Catholici Assertor Et Vindex: Das Ist: Gründliche Und Schrifftmäßige Resolution Von Dem Ampte Und Stande Derer Clericorum Und Stiffts-Persohnen, Welche in Denen/ Der Apostolisch-Catholischen Religion/ Und Augspurgischen Confession Zugethanen Ertz- Und Stifftern/ Wie Auch Klöstern/ Und Andern Geistlichen Collegiis Sich Befinden. 1668. https://dlc.mpg.de/image/mpirg_sisis_413170/1/LOG_0000/
  6. Erläuterungen zu Georg Koppehele von Johannes Lorenz 1938.pdf, S6
  7. Als Leviten werden die Nachfahren des Levi (hebräisch לֵוִי ( bezeichnet, denen allein die Zuständigkeit für den Tempeldienst übertragen war.
  8. Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm Lfg. 4 (1900), Bd. X,I (1905), Sp. 559, Z. 72.
  9. Verwalter des Kirchenschatzes
  10. insb. Domkustos: Hüter eines Kirchengebäudes
  11. Erläuterungen zu Georg Koppehele von Johannes Lorenz 1938.pdf, S. 4

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